Schulpolitik in Zeiten von Corona

Interview mit Franziska Schürken

Hey Franziska, vielleicht kurz zu Beginn: Wer bist Du eigentlich und warum liegt Dir das Thema der Schulpolitik am Herzen? 

Mein Name ist Franziska Schürken, ich bin 17 Jahre alt und ich komme aus Oberhausen in Nordrhein-Westfalen. Im Moment besuche ich die gymnasiale Oberstufe am Sophie-Scholl-Gymnasium und mache dieses Jahr Abitur.  

2018/19 habe ich am Parlamentarischen Patenschaftsprogramm des Deutschen Bundestags teilgenommen und als “Junior-Botschafterin” in den Vereinigten Staaten gelebt. Ganz ist mir die politische Welt also nicht fremd. Das ist aber nicht der Grund, warum mir Schulpolitik an sich so wichtig ist. 

Seit ich klein bin, gehe ich sehr gerne in die Schule. Akademisches Arbeiten gehört für mich einfach zu meinem Leben und meiner Persönlichkeit dazu. Deswegen ist die Zeit der Corona-Pandemie für mich eine Zeit der besonderen Frustration; insbesondere dadurch, dass mein Abitur und damit auch meine Leistungen und Anstrengungen der vergangenen Jahre infrage gestellt werden. Die Angst um die Prüfungen, die momentan viele meiner Klassenkamerad:innen umtreibt, teile ich zwar, doch gleichzeitig stimmt es mich nachdenklich, dass die Schule und vor allem das Abitur im Moment fast nur mit Stress, Sorgen und Leistungsdruck verbunden ist. Eigentlich sollte das nicht so sein; Schülerinnen und Schüler haben in dieser schwierigen Zeit ein Recht auf Entlastung und Unterstützung durch die Politik. 

Wie hat sich für Dich und deine Mitschüler:innen das Lernen und der Schulalltag durch die Pandemie verändert? Wie gut hat aus deiner Sicht auch der Wechsel vom Präsenz- zum Distanzunterricht in Oberhausen funktioniert? 

Ich bin dankbar dafür, dass die Stadt Oberhausen sich bereits frühzeitig im Juni 2020 um eine Plattform (IServ) für das Distanzlernen gekümmert hat, sodass dieses besser organisiert werden konnte. Auch die Übergänge von Präsenz- zu Distanzunterricht wurden dadurch erleichtert. Sehr loben muss ich die Koordination am Sophie-Scholl-Gymnasium. Seit dem Schulstart im Januar 2021 haben wir - auch auf Bitten der Schüler:innenschaft - Distanzunterricht mit Videokonferenzen nach Stundenplan, sodass eine gewisse Struktur in allen Jahrgangsstufen erhalten bleibt.  

Trotzdem ist es natürlich immer wieder sehr disruptiv für den Fortgang des Schuljahres, wenn einzelne Schüler:innen, Lehrer:innen oder ganze Kurse plötzlich wieder daheim landen - vor allem, wenn Klausuren anstehen, die nicht einfach ausfallen können. Ich selbst habe nach der Rückkehr aus meiner ersten Quarantäne direkt eine Leistungskursklausur geschrieben - nachdem ich zwei Wochen nicht am Präsenzunterricht teilgenommen hatte.  

Insgesamt kann man also sagen, dass die Stadt Oberhausen und auch mein Gymnasium alles daran setzen, dass jede:r Schüler:in sein:ihr persönliches Potenzial entfalten kann - trotzdem bleibt der Distanzunterricht suboptimal. Das liegt aber nicht an seiner Durchführung, sondern daran, dass soziale Interaktion mit den Lehrer:innen und eine gewisse Spontaneität, aber auch die Planbarkeit im Unterricht fehlt.  

Viele Betroffene haben die fehlende Planbarkeit in der Schulpolitik kritisiert. Außerdem hat die Pandemie einmal mehr gezeigt, wie sehr der eigene Lernerfolg vom Elternhaus (Ausstattung, Betreuungsmöglichkeit etc.) abhängt. Wie hast Du das wahrgenommen und was hättest Du dir anders gewünscht?  

Ab einem gewissen Punkt hat man sich im Grunde damit abgefunden, dass man nicht genau weiß, wann, wie oder ob man wieder zur Schule geht. 2020 hieß es erst, wir würden nach den Osterferien zurück in die Schule gehen. Danach wurde der Schulstart in den Wechselunterricht mehrmals verschoben, bis es Mitte Mai dann wirklich losging. Nach den Sommerferien kam dann die ständige Angst vor einer Quarantäne dazu; wenn ein:e Lehrer:in außerplanmäßig den Klassenraum betrat, dann zuckten alle vor Schreck zusammen und erwarteten direkt, nach Hause geschickt zu werden.  

Ich fand es vor allem enttäuschend, dass nicht frühzeitig Modelle erdacht und eingesetzt wurden, die solche Situationen hätten verhindern können. Auch die negativen Effekte der fehlenden Ausstattung vieler Kinder und Jugendlichen hätte man durch verschiedene Lösungen lindern können. Schnelltests in Schulen (auch für Schüler:innen), die Öffnung von Computerräumen oder städtischen Bibliotheken für das Distanzlernen oder die frühzeitige Einführung von Präsenzunterricht in Kleinstgruppen für mangelhaft ausgestattete Schüler:innen… Die Liste geht weiter. Leider ist bis jetzt noch nichts davon flächendeckend umgesetzt. Ich wünsche mir, dass eines Tages der Bildungserfolg unabhängig vom sozialen oder wirtschaftlichen Status ist.  

Du steckst mitten in den Vorbereitungen für deinen Schulabschluss und hast gleichzeitig eine Petition für ein gerechtes Abitur unter Corona-Bedingungen initiiert, die über 10.000 Menschen unterschrieben haben. Was sind deine Forderungen? 

Aus symbolischen Gründen habe ich meine Forderungen aus dem September 2020 bis jetzt beibehalten. Man darf schließlich nicht vergessen, dass die Landesregierung zu diesem Zeitpunkt die Maskenpflicht an Schulen ausgesetzt hatte.  

Am wichtigsten ist mir jedoch meine Forderung, dass das Land NRW direkt mit den Schüler:innen und vor allem den Abiturient:innen in den Dialog tritt. Dabei ist es wichtig, dass auch das Ruhrgebiet bedacht wird und eben nicht nur Düsseldorf, Köln und Münster. Im Grunde glaube ich, dass, wenn man wirklich auf das hört, was Abiturient:innen zu sagen haben, man selbst erkennt, dass ein Zentralabitur 2021 nicht realistisch ist. Es kann nicht sein, dass Schüler:innen in dieser gerade für Kinder und Jugendliche äußerst schwierigen Zeit ständig zwischen Pandemie und Prüfung stehen. 

Mit dem Schulabschluss endet zugleich auch ein ganzes Lebenskapitel. Weißt Du schon, wie es für Dich nach dem Abi weitergeht? 

Mein Traum ist es, Medizin zu studieren, doch ich halte mich aufgrund der aktuellen Lage in Bezug auf die Abiturbedingungen natürlich nicht daran fest. Einige Alternativen habe ich parat, zum Beispiel Jura oder Psychologie. Das wichtigste ist für mich jedoch erstmal, es bis zum Abitur zu schaffen. Ich denke, als Schüler:in geht man die aktuelle Zeit Tag für Tag an - das geht mir genauso.  

Viele meiner Freund:innen bleiben jetzt nach dem Abitur noch hier in der Umgebung um zu arbeiten oder ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen, denn es fällt schwer, die Freunde, die man teilweise seit dem Oktober nicht mehr treffen konnte, ganz zurückzulassen. Obwohl ich auch vorhatte, mich beispielsweise in Berlin zu bewerben, habe ich jetzt auch beschlossen, erst einmal hier zu bleiben und in der Nähe zu studieren. So kann man, sobald sich die pandemische Lage etwas bessert, doch noch ein bisschen der verlorenen Zeit nachholen. 

Zum Abschluss noch eine grundsätzlichere Frage: Wenn Du einen Wunsch für eine gute Zukunft nach Corona frei hättest, wie würde er lauten?

In Bezug auf die Bildungspolitik wünsche ich mir, dass Kinder und Jugendliche eine Art Mitspracherecht bekommen und irgendwo auch selbst bestimmen können, wie sich ihr Schulalltag und vielleicht sogar der Lehrplan gestaltet. Zu lange wird “von oben herab” unterrichtet und ich glaube, es wird Zeit, dass sich das ändert. 

Und im Allgemeinen glaube ich, dass es wieder Zeit wird für mehr Verständnis, für mehr Kommunikation und für mehr Gelassenheit. Wer zuhört, kann verstehen; dieses Prinzip sollte nicht nur auf die Bildungspolitik angewandt werden, sondern Einzug in die gesamte politische Landschaft finden. 

Die Petition von Franziska könnt ihr übrigens hier nachlesen und weiterhin unterstützen:

https://www.change.org/p/gerechtigkeit-für-die-nrw-abiturient-innen-2021-bildungslandnrw

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