Landesparteitag NRW SPD

  • - Es gilt das gesprochene Wort -

    Tja, liebe Genossinnen und Genossen:

    Wenn nicht wir, wer dann?

    Keine Sorge. Ich fange jetzt weder an zu singen, noch möchte ich einen Vortrag zum Thema Handball halten. Es ist vielmehr ein zentrales Motiv meiner heutigen Kandidatur: Ich will Brücken bauen in einer Gesellschaft, in der Unterschiede zu Gegensätzen erklärt werden. In einer Zeit, in der ich manchmal das Gefühl habe, dass sich Menschen in der Abgrenzung voneinander wohler fühlen, als es uns allen guttut. Und wenn sich dieser Zustand ändern soll, dann kommt es auf die Sozialdemokratie an. Außer uns macht das nämlich keiner.

    Also: Wenn nicht wir, wer dann?

    Das wirft jetzt natürlich, direkt fünf große Fragen auf.

    Erstens: Haben wir als Gesellschaft uns wirklich schon so weit voneinander entfernt, dass wir aneinander vorbei leben?

    Zweitens: Warum ist denn ausgerechnet die SPD die geeignete Architektin neuer Brücken?

    Drittens: Wie machen wir das?

    Viertens: An welcher Stelle setzen wir unseren ersten Spatenstich?

    Und fünftens: Wie definiere ich meine Rolle als Generalsekretär?

    Fünf große Fragen in 15 Minuten - also wie bei Günther Jauch, nur ohne Werbung dazwischen. Ich hoffe also, ihr habt Euch euren Kaffee schon geholt.

    Bevor wir starten, lasst mich eines vorab sagen: Meine Antworten müssen nicht Eure Antworten sein. Wir können zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen auf dieselbe Frage kommen. Ich freue mich deshalb darauf in den kommenden beiden Jahren genau darüber mit Euch zu diskutieren. Dann lasst uns mal anfangen.

    Frage 1: Haben wir uns wirklich so weit voneinander entfernt?

    An dieser Stelle könnte ich aktenordnerweise Forschungsergebnisse und Statistiken zitieren.

    Zu wirtschaftlicher Ungleichheit, zur wachsenden Wohlstandsschere, zum Zustand des Bildungssystems, zu Abstiegsängsten und auch zu Einstellungen zur Demokratie. Wissenschaft und Zahlen sind unglaublich wichtig, um die Entwicklungen und die Probleme unserer Zeit zu verstehen. Deshalb sollten wir uns auch darüber den Kopf zerbrechen.

    Aber ihr seht ja mit eigenen Augen - ich habe auch einen Bauch. Auf den höre ich ziemlich oft auch politisch. Und mein Bauch sagt mir, dass wir nicht mehr besonders gut zueinander finden. Es sind nicht immer tiefe Gräben, die uns trennen. Sondern manchmal geben ganz profane Dinge darüber Auskunft, mit wem wir überhaupt in Kontakt kommen und mit wem nicht. Das Bild von Hafer-Cappuccino und Hafen-Kneipe, dass Euch in meinem kurzen Einspieler begegnet ist, mag auf den ersten Blick irritieren:

    „Zwei Getränke als Gradmesser für den Zustand der Gesellschaft? Ist das denn nicht ein bisschen zu plakativ?“

    Wo ich mein Feierabendgetränk bestelle, kann aber viel über mich und meine Lebenswelt erzählen. Zum Beispiel darüber, wo ich wohne und wer ansonsten noch da wohnt. Ob mein Quartier eher jung und hip, oder älter und traditionell ist, eher Uni-Viertel oder Arbeiterstadtteil.

    Wahrscheinlich werde ich die Fußball-Truppe aus der Kreisliga C eher nicht beim veganen Brunch in Nippes treffen. Und den Yoga-Kurs nicht beim Knobeln an der Theke im Ruhrort. Gendern kommt in der Dorfkneipe in Goch vermutlich in etwa genauso gut an, wie Gender-Witze bei einer ASTA-Sitzung in Münster.

    Ja, das ist jetzt plakativ. Aber wenn mich mein Bauch nicht ganz täuscht, dann wisst ihr sofort, wovon ich spreche. Von unterschiedlichen Lebenswelten, Vorlieben und Alltagen. Von Gruppen, die gerne übereinander meckern, weil sie die Einstellungen und Vorlieben der anderen nicht nachvollziehen können. Wo ich was mit wem tue - das prägt unsere ganz persönlichen Blasen, in denen wir uns alle bewegen. Das ist völlig wertfrei betrachtet erst einmal ein Ausdruck von gesellschaftlicher Individualisierung. Nur sind die Orte des zwangsläufigen Zusammentreffens sehr viel weniger geworden, und damit ist auch die gegenseitige Toleranz geschwunden. Diese Toleranz aber ist die Basis einer freien und offenen Gesellschaft. Und wenn wir nicht wollen, dass der Laden auseinanderfliegt, dann ist es ist an uns, ihn zusammenzuhalten und ein neues gesellschaftliches „Wir“ zu beschreiben.

    Vorhang auf für Frage Nummer 2 – warum ausgerechnet die SPD die Blasen überbrücken kann? Kurz gesagt: Die SPD ist das größte Vereinsheim im Land.

    In unseren Ortsvereinen sitzt die junge Uni-Dozentin mit dem alten Thyssen-Rentner zusammen und die Busfahrerin mit dem Studenten, die Gewerkschafterin mit dem Selbstständigen. Uns gibt es auf dem Land und in der Stadt. Wir besuchen das Schützenfest genauso wie das Fastenbrechen. In unseren Ratsfraktionen sitzt auch mal ein Genderstern-Grantler neben der überzeugten Vorkämpferin für den intersektionalen Feminismus. Liebe Genossinnen und Genossen, keine andere Partei bildet die Gesellschaft so sehr ab wie wir.

    Wir sind Malle und Museum.

    Solarium und Solaranlage.

    Schlagerparty und Opernhaus.

    Wenn ihr Euch also schon mal gefragt habt, warum Ortsverein auch manchmal so anstrengend ist. Bitte schön! Aber eine funktionierende Gesellschaft ist nun mal anstrengend. Leicht ist es hingegen, sich von anderen abzugrenzen und denen aus dem Weg zu gehen, die man nicht so richtig versteht. Und natürlich ist es auch für mich persönlich entspannter, wenn alle weitgehend meiner Meinung sind. Das Leben ist aber nicht so. Der Soziologe Aladin El-Mafalaani hat mal sinngemäß festgestellt: Konflikt ist die Grundlage für Fortschritt, weil uns die Auseinandersetzung zwingt, Kompromisse zu finden. Also heißt es Konflikte auszuhalten, Gemeinsamkeiten zu suchen und Sprachlosigkeit zu überwinden. Und darin haben wir eben die meiste Erfahrung: In unserem großen SPD-Vereinsheim.

    Wir sind die Partei der Bodenständigen und nicht der Abgehobenen - nicht immer perfekt, nicht immer die besten Selbstvermarkter, manchmal kantig. Ein bisschen wie meine Heimatstadt Oberhausen. Manchen sind wir zu progressiv, den anderen zu wenig. Wir sind nicht perfekt und gucken deshalb auch auf Niemanden herunter.

    Und genau deshalb sind wir das entscheidende Verbindungsstück. Wir erkämpfen sozusagen den Tarifvertrag der Gesellschaft.

    Aber wie machen wir das? Also los geht’s mit Frage 3.

    Kluge Anträge oder gute Positionspapiere alleine bringen uns noch keine neuen Unterstützer:innen. Und mit guten Gesetzen verbessern wir zwar die Gesellschaft, für eine emotionale Verbindung jedoch brauchen wir noch etwas anderes. Ich glaube an die Kraft von Kampagnen. „Kein Kind zurücklassen“. Hinter diesem simplen Slogan haben sich nicht nur Eltern versammelt, die in Sorge um ihre eigenen Kinder waren. Die Kampagne hat einen Anspruch formuliert, der weit über die Grenzen von Berufen, Region, Religion und Kontoständen hinaus ging. „Kein Kind zurücklassen“ war über gesellschaftliche Gruppen hinweg der große gemeinsame Nenner. Wir haben es damit geschafft, einen Wert und eine Vision zu formulieren, verbunden mit konkreten politischen Maßnahmen.

    Eindringlich, aber nicht aufdringlich. Wir haben nicht gesagt: Wenn du die SPD nicht wählst, dann sind deine Werte falsch oder, wenn du uns nicht wählst, dann hast du was gegen Kinder. Sondern: Wenn du unser Ziel teilst und uns unterstützt, dann können wir aus diesem Slogan die Realität machen. Wir haben eine Vision, und die bieten wir dir an. Lasst uns gemeinsame Ziele finden, die über die verschiedenen Gruppen und Blasen hinaus gehen.

    Lasst uns Kampagnen machen, die mehr als 20 Prozent der Menschen ansprechen – von Hafer-Cappuccino bis Hafenkneipe.

    Aber grau ist alle Theorie, entscheidend ist die Frage 4.

    (Reimt sich zwar nicht, aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch.)

    Ich habe vorhin von der Yogagruppe in der Kaffeebar und der Kreisligatruppe am Kneipentresen gesprochen. Über das, was sie trennt. Die eigentliche Frage ist nun, was sie verbindet. Während das Trennende eher profaner und kultureller Natur ist, sind die potenziellen Gemeinsamkeiten hochpolitisch. Das sind Bedürfnisse und Ansprüche, die nicht nur eine Gruppe betreffen, sondern die Allgemeinheit. Ob du Yoga machst oder Fußball spielst, du willst:

    Eine gute Bildung bekommen,

    Einen guten tarifgebundenen Arbeitsplatz haben, egal – ob mit Ausbildung oder Studium,

    Eine schöne Wohnung bezahlen können,

    Eine lebenswerte Umgebung haben – sicher und sauber,

    Eine gesunde Umwelt und Natur haben,

    Einen Kita-Platz für dein Kind finden,

    Frei von Anfeindungen und Diskriminierungen leben können,

    Einen planbaren Weg zur Arbeit haben, Stichwort Brückendesaster und Bahnprobleme,

    Genossinnen und Genossen, das sind die Themen, die unsere Leute bewegen. Es geht um einen starken Staat, mit guter Infrastruktur in der Bildung, im Verkehr, in der Sicherheit und in der Wirtschaft. Einen Staat, der dafür sorgt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Alltag und ihr Leben so gut wie möglich planen können. Mit Fingerzeig in die Zukunft, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Wenn wir uns glaubhaft kümmern und gut kommunizieren, dann werden auch wieder mehr Menschen sagen:

    Die SPD, das sind unsere Leute. Und sie werden auch merken Schwarz und Grün, dat isset nicht.

    Frage 5: Eine letzte Frage ist noch offen. Eine ganz entscheidende für heute sogar.

    Wie sehe ich meine Rolle im neuen Führungstrio mit Sarah und Achim? Was könnt ihr von mir als Generalsekretär erwarten? Vor meinem Entschluss zu kandidieren, habe ich lange darüber nachgedacht. Denn vielleicht habt ihr es schon gemerkt: Ich bin weder Zirkuspferd noch Wadenbeißer. Und das wird auch so bleiben. Ich bin nicht gut darin, mich zu verstellen. Meinen Job sehe ich aber auch nicht darin, mich zu profilieren, sondern darin, über Strategie und Kampagnenplanung das Profil unserer Partei zu schärfen. Das ist mein Angebot und mein Versprechen an Euch: Strategie, Orientierung und Kampagne. Jede und jeder in NRW soll wissen, wofür die neue SPD im Westen steht. Traditionell laden Ortsvereine, Stadtverbände und Unterbezirke gerne die Führungspersonen von der Landesebene zu Veranstaltungen ein, um Grußworte oder Reden bei Parteitagen zu halten. Natürlich erst die Landesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden, aber irgendwann danach landet man dann beim Generalsekretär.

    Liebe Genossinnen und Genossen, mein Herz schlägt für unsere Mitgliederpartei. Ich möchte deshalb unbedingt in jeden Unterbezirk und in jeden Kreisverband kommen. Aber nicht, um Euch auf Parteitagen die Welt zu erklären, sondern als Kampagnenmanager, der mit Euch an einer gemeinsamen Erzählung für NRW arbeitet in Vorstandssitzungen und auf Unterbezirksausschüssen, überall im Land, wie eine rollende Werkstatt.

    Ich will die Ärmel hochkrempeln. Aber nicht zum Händeschütteln, sondern zum Anpacken – als erster Vorarbeiter unserer Partei.

    Es darf nicht länger so sein, dass die Wahrnehmung existiert: Der Landesvorstand beschließt was, und die Unterbezirke und Ortsvereine sollen mal machen. Aber eben auch nicht die Unterbezirke laden ein und wollen unterhalten werden. Der Landesverband ist kein Elfenbeinturm und die Unterbezirke sind keine Fürstentümer. Denn keine Ebene ist wichtiger oder unwichtiger als die anderen. Und schon gar nicht egal.

    Kommunalebene ist nicht egal.

    Landesebene ist nicht egal.

    Bundesebene ist nicht egal.

    Europaebene ist nicht egal.

    Ich kandidiere als Generalsekretär der neuen SPD im Westen, weil ich zusammen mit Euch was vorhabe und weil ich weiß, was wir alles schaffen können,

    ...wenn wir uns um die Probleme der Menschen in Nordrhein-Westfalen kümmern und nicht um uns selbst.

    ...wenn wir gemeinsam Kampagnen schmieden, die nicht nur im Kopf, sondern auch im Herz und im Bauch ankommen.

    ...wenn wir Unterschiede nicht als Gegensätze sehen und Brücken bauen, die die Menschen verbinden.

    Wenn nicht wir, wer dann?!

    Freundschaft und Glück Auf!

    Euer Freddy

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