Über das Gleis 93/4 in die Berufsschule?

Warum die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung keine Zauberei ist.

Manche Sätze besitzen eine echte Zauberkraft. Wenn man sie ausspricht, verändert sich allein dadurch etwas in der Wirklichkeit. Ihr denkt jetzt vielleicht an „Expecto Patronum“, aber man muss nicht Harry Potter sein, um echte Zaubersprüche benutzen zu können. Ihr könnt das auch. Wenn ihr z.B. Gastgeber:in auf einer Veranstaltung seid, lautet euer Zauberspruch nicht „Wingardium Leviosa“, sondern „Das Büffet ist eröffnet.“ Vorher sitzen alle rum, machen Small Talk, aber sobald ihr die magischen Worte sprecht, beginnt der Sturm aufs Büffet. Ein anderes klassisches Beispiel findet in der Kirche statt. Drei Menschen stehen vorne und der Priester sagt: „Hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau.“ und für die zwei Menschen vor dem Priester ändert sich die Welt fundamental, obwohl eigentlich nichts passiert ist.

Solche Sätze nennt man performative Sprechakte. Indem man sie ausspricht, tritt eine Veränderung in der Welt ein - echte Zaubersprüche also. Damit sie funktionieren braucht es einen bestimmten Kontext und es kommt auf die Sprecher:innenposition an. In Koalitionsverträgen funktionieren solche Sätze leider nicht und das sieht man einmal mehr beim Blick in das Vertragswerk der schwarz-grünen Landesregierung. Dort steht: „Für uns sind die akademische und die berufliche Bildung gleichwertig.“[1] Das klingt auch ein bisschen wie ein performativer Sprechakt, aber leider hat sich dadurch rein gar nichts in der Welt verändert. Akademische und berufliche Bildung sind zurzeit nicht gleichwertig und sie werden es auch nicht dadurch, dass man es in einen Koalitionsvertrag schreibt. Man muss schon etwas dafür tun und leider scheitert die schwarz-grüne Landesregierung auch daran. Das ist besonders bitter, weil die Frage der Gleichwertigkeit der Bildungsbereiche unmittelbar etwas mit dem Problem zu tun hat, um das es in meinem letzten Blogbeitrag ging – dem Fachkräftemangel. Um diesen in den Griff zu kriegen, braucht es endlich wieder eine Aufwertung der beruflichen Bildung mit dem Ziel einer echten Gleichwertigkeit mit der akademischen Bildung und darum geht es im vorliegenden Blog.

Weil diese Frage keine parteipolitische sein sollte, haben wir im Landtag eine Anhörung dazu aus dem Wirtschaftsausschuss sowie aus dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantragt. Wir wollen gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien Expert:innen hören und konkrete Vorschläge erarbeiten, wie wir zu einer echten Gleichwertigkeit zwischen den Bildungsbereichen kommen können. Zwei ganz grundsätzliche Ideen zeichnen sich dabei bereits ab. Zum einen finden wir, dass die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung in der Landesverfassung verankert werden sollte. Das klingt vielleicht auch erstmal wie ein reiner Zauberspruch, tatsächlich sind für uns damit aber zwei konkrete Punkte verbunden. Das eine ist die Signalwirkung, die von einer solchen Verankerung in der Verfassung ausgehen würde, also das konkrete Bekenntnis und das andere ist, dass der Gesetzgeber dadurch nochmal stärker dazu verpflichtet wäre, durch seine Entscheidungen auf eine stärkere Gleichwertigkeit hinzuwirken. Eine Verankerung wäre also ein guter erster Schritt, dem dann besser weitere folgen könnten.

Die zweite Idee klingt erstmal komplizierter und läuft unter dem Schlagwort ‚Verrechtlichung des DQRs‘. Was ist damit gemeint? ‚DQR‘ steht für „Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ und dieser ist ein Instrument, um die Qualifikationen aus den verschiedenen Bildungsbereichen besser miteinander vergleichen zu können. Der DQR definiert dafür insgesamt acht Niveaus, denen die entsprechenden Abschlüsse und Qualifikationen aus der allgemeinen, der beruflichen und der Hochschulbildung zugeordnet sind. Hier wird dann auch klar, welche Rolle der DQR für die Gleichwertigkeit spielt. Er weist nämlich fundiert nach, dass die Abschlüsse und Qualifikationen auf demselben Niveau auch tatsächlich gleichwertig sind. Übrigens: Weil in der politischen Diskussion oft davon gesprochen wird, dass wir nicht nur Master, sondern auch Meister brauchen. Das stimmt, aber mit Blick auf den DQR müssten man eigentlich von Bachelor und Meister sprechen, da diese beiden Abschlüsse demselben DQR-Niveau (Niveau 6) zugeordnet sind. Aber zurück zur Frage der Verrechtlichung. Das ist deshalb eine Forderung, weil der DQR bisher keinen rechtlich-verbindlichen Charakter hat, obwohl er von den verschiedenen Akteur:innen (Politik, Arbeitgeber:innen, Arbeitnehmer:innen und den jeweiligen Verbänden) als sehr hilfreich bewertet wird. Um diesem guten Instrument also mehr Aussagekraft und Verbindlichkeit zu verleihen, lautet die zweite Idee, diesen zu verrechtlichen. Dazu bräuchte es eine gemeinsame Initiative der Bundesländer mit der Bundesebene und auch das wäre sinnvoll.

Für mich ist allerdings klar, dass beide Schritte – sowohl die Verankerung in der Verfassung als auch die Verrechtlichung des DQRs – nur der Anfang sein können, um zu einer wirklichen Gleichwertigkeit der Bildungsbereiche zu kommen. So wichtig sie in ihrer Signalwirkung sind, so sehr bedürfen sie weiterer politischer Initiativen und welche das sind, das will ich hier noch kurz skizzieren.

Erstens müssen wir bereits am Anfang, bei der Berufsorientierung in den Schulen, ansetzen. Gerade an Gymnasien herrscht oft das Bild vor, dass ein Studium mehr wert sei als eine duale Berufsausbildung und falsche Statusüberlegungen bestimmen schon zu Beginn den Berufsorientierungsprozess. Das Problem besteht hier nicht nur in der falschen Sichtweise, in der eine Berufsausbildung lediglich als Plan B verstanden wird, es ist schlicht auch faktisch falsch. So mancher Weg der beruflichen Bildung ist mit einer früher höheren Entlohnung verbunden als viele Wege der akademischen Bildung. Deshalb müssen wir an diesem neuralgischen Punkt ansetzen, an dem für viele junge Menschen die Entscheidung für ihren beruflichen Werdegang ansteht. Was es braucht, ist eine transparente Berufsorientierung, die beide Wege, also sowohl eine duale Berufsausbildung als auch ein Hochschulstudium, als gleichberechtigte Alternativen beschreibt.

Zweitens müssen wir die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen erhöhen. Ziel muss eine enge Verzahnung der Lernorte Schule, Berufskolleg, Betrieb und Hochschule sein. Viele junge Menschen, die sich während ihrer Schulzeit für den einen Weg entschieden haben, korrigieren ihre Entscheidung vielleicht später nochmal. So manche:r merkt zum Beispiel im zweiten Semester, dass sie:er doch lieber eine duale Ausbildung machen will. Für diese Fälle braucht es zweierlei. Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass die Zeit, die in dem einen Bildungsbereich verbracht wurde, keine völlig ‚verlorene Zeit‘ ist. Das heißt, dass auch Teilqualifikationen, die ja trotzdem erworben wurden, auch wenn man den jeweiligen Bildungsgang nicht mit einem Abschluss beendet hat, dennoch bescheinigt und ggf. für den neuen Bildungsgang angerechnet werden können. Zum anderen braucht es beim Wechsel der Bildungsbereiche aktive Unterstützung. Berufliche und akademische Bildung sollen gleichwertig sein, aber sie sind nicht gleichartig. Das Lernen im Betrieb und in der Berufsschule ist ein anderes als an einer Hochschule. Deshalb brauchen Menschen, die von dem einen Bildungsbereiche in den anderen wechseln aktive Unterstützung, um sich im neuen Feld zurechtzufinden. Das gilt übrigens explizit für beide Richtungen und nicht nur für diejenigen, die von einer Berufsausbildung an eine Hochschule wechseln. Und schließlich sind mit Blick auf eine bessere Durchlässigkeit all jene Bildungsgänge begrüßenswert, die die Wege zwischen den Bildungsbereichen möglichst lange offenhalten oder das Entweder-Oder zwischen akademischer und beruflicher Bildung ganz aufheben. So ermöglicht zum Beispiel das Modell der studienintegrierenden Ausbildung in NRW den Absolvent:innen sowohl einen Berufs- als auch einen Studienabschluss. Und in manch doppelqualifizierenden Bildungsgängen können die Azubis neben dem Berufsabschluss zusätzlich die Fachhochschulreife erwerben.

Drittens muss sich nicht nur bei der Berufsorientierung und der Durchlässigkeit, sondern auch im Geldbeutel was ändern. Denn wenn wir von der Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung sprechen, dann muss sich der gleiche Wert ja immer auch in etwas ausdrücken und das erreicht man am klarsten, wenn gilt: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Deshalb geht es einfach nicht an, dass Menschen zwar die gleiche Arbeit verrichten, aber trotz gleichwertiger Abschlüsse unterschiedlich bezahlt werden. Hier muss die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und darf Menschen mit einem Meister-Abschluss nicht schlechter bezahlen als Menschen mit einem Bachelor-Abschluss. Aber sie muss nicht nur ihre Vorbild-Funktion erfüllen, sondern auch gesetzliche Regelungen schaffen, die eine ungleichen Bezahlung trotz gleichwertiger Abschlüsse überall untersagen.  

Viertens und letztens sollten wir dazu kommen, dass mit einem gleichwertigen Abschluss nicht nur finanziell die gleichen Möglichkeiten einhergehen, sondern auch mit Blick auf die Zugangsvoraussetzungen zu den einzelnen Bildungsbereichen. Wenn wir zum Beispiel nochmal einen Blick auf die DQR-Niveaus werfen, dann ist das Abitur demselben Niveau (Niveau 4) wie eine duale Berufsausbildung zugeordnet. Mit dem Abitur erwirbt man die allgemeine Hochschulreife und kann an jeder Hochschule prinzipiell jeden Studiengang wählen, während dieselben Möglichkeiten mit einer abgeschlossenen dualen Berufsausbildung nicht einhergehen. Natürlich ist klar, dass es einfach aufgrund der Verschiedenartigkeit der Bildungsbereiche nicht möglich sein wird, dass mit jedem Abschluss aus dem einen Bildungsbereich dieselben Möglichkeiten verbunden sind wie mit dem jeweils gleichwertigen Abschluss aus dem anderen Bildungsbereich. Aber gerade mit Blick auf die öffentlich unterschiedliche Wahrnehmung von Abitur und dualer Berufsausbildung wäre es doch ein starkes Zeichen, die Möglichkeit zu prüfen, dass man mit einer dualen Ausbildung gleichzeitig auch eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt.

 

Fazit

Die berufliche und akademische Bildung sind in Deutschland (noch) nicht gleichwertig. Sie sollten es aber nicht nur mit Blick auf das Problem des Fachkräftemangels sein. Um das zu erreichen, braucht man keine Zauberkraft, sondern die richtigen politischen Ideen und den Willen, diese umzusetzen. Leider setzt die aktuelle schwarz-grüne Landesregierung vor allem auf Hokuspokus. Wie man es besser machen könnte und müsste, habe ich in diesem Blog-Beitrag skizziert.

[1] Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen. Koalitionsvereinbarung von CDU und Grünen 2022-2027. S. 63. Abrufbar: https://gruene-nrw.de/dateien/Zukunftsvertrag_CDU-GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf.

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