It’s a match! Oder?

Ausbildungsblog III

Wenn der Ausbildungsmarkt wie Tinder funktionieren würde, wäre eigentlich alles ganz einfach. Die Betriebe, die Azubis suchen, würden in ihre Bio schreiben, wen genau sie suchen und was sie als Arbeitgeber:innen anbieten. Junge Menschen, die wiederum einen Ausbildungsplatz suchen, würden in ihre Bio schreiben, welche Qualifikationen und Interessen sie so mitbringen. Und wenn beide Seiten zusammen passen und nach rechts wischen, gibt’s ein Match und alle sind zufrieden. Ganz so einfach ist es in der Realität aber leider nicht und deshalb soll es in der dritten Folge meines Ausbildungsblogs um das sogenannte ‚Matchingproblem‘ gehen.

Wie jeder Markt funktioniert auch der Ausbildungsmarkt über das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Die Betriebe bieten Ausbildungsplätze an und junge Menschen fragen diese nach. Soweit so klar. Weniger klar ist auf den ersten Blick, wie es zum Matchingproblem kommen kann. Davon spricht man nämlich dann, wenn sowohl das Angebot als auch die Nachfrage hoch ist, aber die beiden Seiten dennoch nicht zueinander finden. Das heißt, auf der einen Seite gibt es freie Ausbildungsstellen und gleichzeitig gibt es auf der anderen Seite junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz finden. Im letzten Jahr 2020 standen deutschlandweit knapp 60.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen knapp 30.000 unversorgte Bewerber:innen gegenüber. Wie kann das sein?

Tatsächlich gibt es mehrere Faktoren, die zu dieser erstmal widersprüchlich klingenden Situation führen. Schauen wir uns dazu mal ein Beispiel an. Maria wohnt in Mettmann. Sie hat gerade ihren Realschulabschluss gemacht und möchte nun gern eine Ausbildung als Kauffrau für Marketingkommunikation beginnen. Dafür hat sie über fünfzig Bewerbungen an Betriebe in der Region geschickt. Zum Großteil hat sie keine Rückmeldungen bekommen, teilweise zumindest Absagen und einmal ist sie zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, aber leider nicht genommen worden. Jetzt bringt es Maria wenig, dass im gut 160 km entfernten Bielefeld einige Unternehmen noch Azubis als Kauffrau für Marketingkommunikation suchen.

Zum einen müsste sie ihr gesamtes soziales Umfeld in Mettmann aufgeben und für eine dreijährige Ausbildung in eine ihr unbekannte Stadt ziehen, ohne zu wissen, wie es danach weitergeht. Und selbst wenn Maria dazu bereit wäre, wüsste sie immer noch nicht, wie sie von ihrer Ausbildungsvergütung ein WG-Zimmer oder ähnliches in Bielefeld bezahlen soll. Hier führen also die Faktoren der regionalen Unterschiede, der zu geringen Ausbildungsvergütung und des nicht bezahlbaren Wohnraums dazu, dass es einerseits eine unversorgte Bewerberin gibt und andererseits einen nicht besetzen Ausbildungsplatz.

Und es gibt noch weitere Faktoren. Besuchen wir dazu mal Cem, der in Lengerich im Kreis Steinfurt wohnt. Cem möchte Lacklaborant werden und hat auch gar keine schlechten Aussichten auf einen Ausbildungsplatz im nicht allzu weit entfernten Münster. Aber Cem hat ein ganz zentrales Problem. Weil er sich kein Auto leisten kann, ist er auf den ÖPNV angewiesen, aber es fährt weder ein Zug noch ein Bus so, dass Cem rechtzeitig morgens auf der Arbeit ist. Selbst wenn es also klappen sollte mit dem Ausbildungsplatz, wüsste er einfach nicht, wie er pünktlich von A nach B kommen sollte. Neben der Frage des Wohnraums ist also auch die Frage der Mobilität ein ganz wichtig Faktor, der zum Matchingproblem beiträgt.

Ein weiterer Faktor ist die Ausbildungsqualität. Arbeitszeiten, die häufig auch an Wochenenden und Feiertagen geleistet werden müssen, eine generell hohe Arbeitsbelastung und eine eher unterdurchschnittliche Vergütung machen eine Ausbildung in bestimmten Branchen für viele junge Menschen unattraktiv, weswegen es zu unbesetzten Lehrstellen kommt.

Fassen wir mal zusammen: Wenn man nur auf die nackten Zahlen guckt, ist es erstmal unverständlich, warum es auf der einen Seite offene Ausbildungsplätze und auf der anderen Seite Bewerber:innen gibt, die keinen Platz finden. Wie wir aber gesehen haben, hängt es bei genauerem Hinsehen von ganz verschiedenen Faktoren ab, ob es auch wirklich zum Match kommt. Eigentlich ja doch wie auf Tinder. Auch da wischt man ja nicht bei jeder:m nach rechts, nur weil sie:er prinzipiell zur Verfügung stünde, sondern es kommt schon auf die konkrete Person an. Und am Ausbildungsmarkt kommt es eben auf solche Punkte wie bezahlbarer Wohnraum, Mobilität, Ausbildungsvergütung und -qualität an. Und damit man das passende Match für sich findet, braucht es quasi ein Überangebot an Stellen.

Für ein solches Überangebot sorgt die umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie, weil sie Anreize dafür schafft, dass mehr Betriebe Ausbildungsplätze anbieten und gleichzeitig jedem jungen Menschen einen Ausbildungsplatz und damit eine berufliche Zukunft garantiert. Wie diese Garantie genau funktioniert, das könnt ihr nochmal hier in der ersten Folge meines Ausbildungsblogs nachlesen.

Aber als Politik müssen wir auch an die anderen Faktoren ran, die zum Matchingproblem führen. In der Corona-Pandemie war es besonders schwer zu “matchen” und Unternehmen und Bewerber:innen zusammenzubringen. Die üblichen Ausbildungsmessen haben zum großen Teil nicht stattgefunden und die allgemeine Kontaktreduzierung hat auch vor der beruflichen Bildung nicht Halt gemacht. Aber wie in vielen anderen Bereichen gab es auch hier kreative Angebote, die nach der Pandemie beibehalten werden können. So sind Walk&Talk-Angebote entstanden, bei denen Schüler:innen sich mit Unternehmen auf einen Spaziergang treffen konnten. Oft hat hier der persönliche Charakter der Bewerber:innen viel zentraler im Mittelpunkt gestanden, sodass Noten und Zeugnisse auch für die Unternehmen beim Matching weniger relevant wurden.

Uns geht es um das komplette Paket, damit wir die Ausbildung wieder zu einer attraktiven und gleichberechtigten Alternative zum Studium machen. Allen jungen Menschen soll durch eine Ausbildung die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden. Dazu wollen wir die Qualität der Ausbildung in den Betrieben und in den Berufsschulen verbessern und durch einen massiven Ausbau des Nahverkehrs dafür sorgen, dass Azubis wie Cem gut von A nach B kommen. Außerdem habe ich mich schon als Landesvorsitzender der NRW Jusos für ein Azubi-Ticket eingesetzt, damit Cem ebenso wie seine Freund:innen, die studieren, für nen niedrigen Pauschalbetrag quer durch NRW reisen kann. Und mit einer angemessenen Ausbildungsvergütung und mehr bezahlbarem Wohnraum wollen wir dafür sorgen, dass Azubis wie Maria selbst entscheiden können, wo sie leben möchten. Dafür braucht es gesetzliche Regelungen und vor allem Investitionen. Denn ihr wisst ja: Zukunft gibbet nicht für lau!

PS: In meinem Ausbildungsblog geht es mir um die grundsätzliche Frage, wie wir allen jungen Menschen einen guten Start in ihr Berufsleben ermöglichen können und welche Steine dabei aus dem Weg geräumt werden müssen. In der ersten Folge habe ich Euch deshalb die zentrale Forderung nach einer Ausbildungsgarantie vorgestellt. In der zweiten Folge ging es mir darum, wie wir es schaffen, dass niemand beim Übergang von der Schule in den Beruf auf der Strecke bleibt. Und in dieser Folge haben wir uns angeschaut, was es mit dem Matchingproblem auf sich hat und wie wir es lösen können. Doch damit nicht genug, denn in der nächsten Folge beschäftige ich mich mit den gängigsten Mythen, die über das Thema Ausbildung im Umlauf sind und schaue mir an, was da eigentlich wirklich dran ist.

Quellen:
Vorläufiger Berufsbildungsbericht 2021, S. 54.
https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/21-04-28-bbb-2021.pdf;jsessionid=B6DB5595E65928B76C9221AF743D7F86.live381?__blob=publicationFile&v=1

Zurück
Zurück

Warum Berufsschulen nicht von gestern, sondern für morgen sind

Weiter
Weiter

„KAoA“ statt kein Anschluss unter dieser Nummer