„KAoA“ statt kein Anschluss unter dieser Nummer
Ausbildungsblog II
Ich weiß gar nicht, ob das heute auch noch so ist, aber wenn man sich früher beim Telefonieren verwählt hat, dann kam immer eine Stimme, die gesagt hat: „Kein Anschluss unter dieser Nummer.“ Das war ärgerlich, konnte aber leicht korrigiert werden. Aber was ist, wenn Dir das jemand in Bezug auf deinen weiteren Lebensweg sagt? Was ist, wenn Du neun oder zehn Jahre zur Schule gegangen bist, den nächsten Schritt machen willst und man sagt Dir: „Kein Anschluss unter dieser Nummer.“? Genau diese Erfahrung machen viele junge Menschen jedes Jahr, die aus verschiedenen Gründen die Schule ohne Abschluss verlassen. Die können noch so viele Nummern wählen und bekommen dennoch keine Anschlussperspektive nach der Schule. Um diese jungen Menschen geht es mir in der zweiten Folge meines Ausbildungsblogs und um die Frage, wie sie trotz des fehlenden Schulabschluss’ den so wichtigen Schritt in eine Ausbildung gehen können, um ihr eigenes Leben zu gestalten.
Zu Beginn lohnt ein kurzer Blick auf die Zahlen: 2019 haben in NRW 6,5 % der Jugendlichen die Schule ohne einen Abschluss verlassen. So hoch war der Anteil an der gleichaltrigen Bevölkerung zuletzt im Jahr 2009. Was vielleicht zunächst nicht so dramatisch klingen mag, bedeutete 2019 ganz konkret, dass 11.421 junge Menschen die Schule ohne eine echte Perspektive für ihren weiteren Lebensweg verlassen haben. Denn wer die Schule ohne Abschluss verlässt, ist von der Berufsausbildung in Deutschland quasi ausgeschlossen, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer Studie („Baustelle Bildungspolitik“, 2019) unmissverständlich dargelegt hat. Bei fast 96 % der angebotenen Ausbildungsplätze brauchen sich Jugendliche ohne Schulabschluss erst gar nicht bewerben, weil sie von vornherein nicht infrage kommen. Aber nicht nur Jugendliche ohne Abschluss trifft die Situation hart, sondern auch die, die die Hauptschule erfolgreich zu Ende gebracht haben. Oft sind das junge Leute, die ihre Stärken in eher praktischen Bereichen haben. Konnte man früher mit einem Hauptschulabschluss auf eine solide Berufslaufbahn setzen, steht man heute auch in diesen Branchen viel mehr in Konkurrenz mit Realschüler:innen und (Fach-)Abiturient:innen. SPD, Jusos und DGB setzen sich natürlich für eine Ausbildungsplatzgarantie ein, sodass niemand durchs Raster fallen würde. Aber da wir die Bundestagswahl noch nicht gewonnen haben, sind wir leider noch nicht an dem Punkt. Was machen wir nun in der Zwischenzeit? Abwarten? Daumen drücken? Weiterhin kein Anschluss unter dieser Nummer?
Nein! Unsere Devise muss wieder sein: KAoA. Klingt erstmal wie eine Schokomilch, steht aber für das Prinzip „Kein Abschluss ohne Anschluss“ und es steht vor allem für ein zentrales Versprechen der letzten rot-grünen Landesregierung: kein Kind zurücklassen. ‚KAoA‘ wurde 2011 beschlossen und ist ein verbindliches landesweites System für den reibungslosen Übergang von der Schule in den Beruf. Es unterstützt Jugendliche aktiv bei der Berufs- und Studienorientierung, bei der Berufswahl und beim konkreten Eintritt in eine Ausbildung oder ein Studium. Es lässt niemanden im Stich, sondern gewährleistet für alle Jugendlichen eine verbindliche Anschlussperspektive nach der Schule. Und das Ganze läuft in vier Schritten ab:
Spätestens in der 8. Jahrgangsstufe beginnt der Prozess mit einer sogenannten Potentialanalyse. Man könnte auch einfacher sagen, dass man gemeinsam schaut, was die Interessen und Stärken der Schüler:innen sind, damit diese eine Idee davon entwickeln, welche Berufswege zu ihnen passen könnten.
Dieser zweite Schritt wird Berufsfelderkundung genannt. Die Schüler:innen schauen sich also schonmal ausgewählte Berufswege genauer an und setzen sich damit auseinander, was man für den Beruf mitbringen sollte und ob sie sich das für ihre Zukunft vorstellen können.
In einem dritten Schritt geht’s dann darum, durch Praktika die möglichen Berufe nicht nur auf dem Papier bzw. Bildschirm kennenzulernen, sondern für einen begrenzten Zeitraum selber reinzuschnuppern. Diese Praxisphase findet in der Jahrgangsstufe 9 statt.
Und schließlich wird am Ende der Jahrgangsstufe 9 und in der 10 die koordinierte Übergangsgestaltung in Angriff genommen. Dazu wird mit allen Schüler:innen jeweils eine konkrete Anschlussperspektive erarbeitet und in einer Anschlussvereinbarung festgehalten. Hier entscheidet sich, wohin die Reise gehen soll. Will der jeweilige Schüler oder die jeweilige Schülerin also nach der Schule zum Beispiel ne Ausbildung machen oder geht der Weg eher Richtung Abitur, um sich dann vielleicht für ein (Duales) Studium einzuschreiben? Und es wird schließlich geklärt, welche Unterstützung auf dem Weg dahin notwendig ist und wie diese gewährleistet werden kann.
Was in der Theorie gut klingt, hat auch in der Praxis zu richtig guten Ergebnissen geführt. In den ersten Kommunen, die am KAoA-System teilgenommen haben, konnten gleich mehrere positive Entwicklungen festgestellt werden: Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ging rauf. Die Zahl der unversorgten Bewerber:innen ging runter. Und auch die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen konnte so gesenkt werden. Angebot und Nachfrage haben also besser zueinander gefunden und für viele junge Menschen wurde das Versprechen “Kein Abschluss ohne Anschluss” eingelöst.
Das alles ist nun schon ein paar Jahre her und wie ich bereits oben beschrieben habe, steigt leider wieder die Zahl derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Deshalb will ich das tun, was die aktuelle Landesregierung leider nicht auf die Kette kriegt. Ich will an „Kein Abschluss ohne Anschluss“ anknüpfen, es weiterentwickeln und dafür sorgen, dass wirklich niemand mehr beim Übergang von der Schule in den Beruf im Stich gelassen wird.
Dafür braucht es meiner Meinung nach bessere und vor allem zielgruppenspezifischere Angebote im Rahmen von „KAoA“ für Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen Probleme haben, einen Schulabschluss zu machen. Folgende Fragen sind mir dabei besonders wichtig: Wie erreichen wir Jugendliche, die schon mit der Schule abgeschlossen haben, anstatt die Schule abzuschließen? Wie können wir Jugendliche noch besser unterstützen, die erst während des Berufsorientierungsprozesses dazu kommen, weil sie aus einem anderen Bundesland nach NRW gezogen oder hierhin geflüchtet sind? Wie bringen wir Unternehmen dazu, Jugendlichen eine Ausbildung anzubieten, die zwar Schwierigkeiten beim Schulabschluss haben, aber voller Tatendrang sind, was ihre berufliche Zukunft angeht? Um diese Fragen zu beantworten und „KAoA“ so weiterzuentwickeln, dass wirklich kein Kind mehr zurückgelassen wird, müssen die Erfahrungen der Jobcenter, der außerschulischen Bildungsträger und der Jugendhilfeinstitutionen stärker einbezogen und so zielgruppenspezifische Angebote entwickelt werden. Mein Ziel ist klar: Anschluss für alle statt kein Anschluss unter dieser Nummer!
PS: In meinem Ausbildungsblog geht es mir um die grundsätzliche Frage, wie wir allen jungen Menschen einen guten Start in ihr Berufsleben ermöglichen können und welche Steine dabei aus dem Weg geräumt werden müssen. In der ersten Folge habe ich Euch deshalb die zentrale Forderung nach einer Ausbildungsgarantie vorgestellt. In dieser Folge ging es mir besonders um die Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Und in der nächsten Folge wird es um die Fragen gehen, wie Bewerber:innen, die einen Ausbildungsplatz suchen und Unternehmen, die einen Ausbildungsplatz anbieten, eigentlich zusammenkommen und wie das in Zukunft noch besser gelingen kann. Seid dabei, wenn es heißt: „It’s a match! Oder?“